Zeitzeugengespräch mit Karla Spagerer

Warum das Erinnern wichtig ist – Zeitzeugin Karla Spagerer erzählt

Keine Angst haben – Kämpfen!

Karla Spagerer ist eine der letzten Zeitzeugen, die die Nazi-Zeit miterlebt hat. Hautnah und ergreifend erzählte sie in Begleitung des Mannheimer Abgeordneten Dr. Stefan Fulst-Blei im Bürgerhaus des Bürgerverein Gartenstadt ihre persönlichen Erlebnisse und warum das Erinnern wichtig ist.

Die SPD Gartenstadt hatte Karla Spagerer eingeladen, um mit dieser Veranstaltung darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, sich zu informieren und wie wichtig es ist in einer Demokratie zu leben und sie zu schützen. Denn Karla Spagerer, Jahrgang 1929, hat die Schrecken des Nationalsozialismus im eigenen familiären Umfeld erlebt. Sie ist glücklich in einer Demokratie zu leben und hofft, dass es auch so bleibt. „Für die Demokratie muss man kämpfen“,erklärt Karla Spagerer. Und die fast 90-jährige kämpft mit ihren Mitteln für Demokratie. Sie schilderte die Begebenheiten, die sie in ihrer Jugend in den zwölf Jahren des Nationalsozialismus erlebt hat.

„Die Gestapo hat meine Großmutter Babette Ries verhaftet, weil sie Geld und Lebensmittel für Familien gesammelt hatte, deren Männer inhaftiert waren,“ so Karla Spagerer. 18 Monate hat sie im Gefängnis gesessen. „In dieser Zeit hat die Gestapo bei uns ein paar Mal Hausdurchsuchungen gemacht. Nach dem Krieg habe ich erfahren, dass bei uns Flugblätter zwischengelagert waren“, erzählte Spagerer.

Karla Spagerer kommt aus einem politisch engagierten Elternhaus, sie ist wahrscheinlich die letzte Zeitzeugin, die Frauen und Männer rund um die Lechleitner-Gruppe kannte. Diese Gruppe aus der Gartenstadt hatte aus Kommunisten bestanden, die sich als Widerstandskämpfer dem Nationalsozialismus entgegengestellt hatten. Ihre Großmutter war befreundet mit Frau Lechleitner, Sie kannte Jacob Faulhaber und deren Töchter, Max Winterhalter und seine Kinder. „Als Kinder haben wir zusammen gespielt und gingen später in die Waldhofschule, zum Teil sogar in die gleiche Klasse“, erzählt sie. Ihre Mutter war Kommunistin und Stadtverordnete in der Weimarer Republik und hatte Kontakte zur Lechleiter Gruppe.

An die Reichspogromnacht 1938 denkt sie mit Schrecken zurück, als jüdische Menschen abgeführt wurden und Häuser und Geschäfte geplündert wurden. Sie erzählt über Ihren Vater, der in einem jüdischen Familienunternehmen, das von zwei Schwestern geführt wurde, gearbeitet hat. Ihr Vater habe die Schwestern oft gebeten aus Deutschland weg zu gehen, weil sich etwas zusammenbraue. Die sagten nur „wir sind doch Mannheimer“. Nach der Reichspogromnacht vom 9. zum 10. November 1938seien Karla Spagerer und ihre Eltern morgens mit der Straßenbahn in die Stadt zu der Firma der jüdischen Schwestern gefahren. „Ich war schon neun Jahre alt, und als wir am Marktplatz ausgestiegen sind, waren überall SA-Leute. Die haben alles auf die Straße geschmissen – Möbel, Bilder, Kinderspielsachen. Wir haben gesehen, wie sie Männer und Frauen abführten.“

Sie habe mitbekommen, berichtet Karla Spagerer, wie verzweifelt die Menschen gewesen seien: „Aber wir konnten nichts machen. Die Schwestern waren fort, alles war geplündert.“ Erst vor ein paar Monaten, 80 Jahre später habe sie erfahren, dass die SchwesternHelene und Elise Karlebach nach Theresienstadt kamen und dort umgekommen sind“, spricht sie weiter.

„Wenn ich so zurückdenke, dann habe ich Angst, dass es wieder geschehen kann, ich habe keine Angst um mich, aber Angst um unsere Kinder und Enkel, die uns folgen“, sagte sie mahnend.

„Darum erzähle ich gerne hier, um mit euch darüber zu sprechen und euch aufzufordern, kritisch und interessiert die Programme der Parteien durchzulesen. Denn heute werden schon wieder, wiedamals, Parolen und Unwahrheiten verbreitet“, wandte Spagerer sich an die Besucher.“ Nun an meinem Lebensabend muss ich erleben, das wir einen Antisemitismus-Beauftragten brauchen, dass jüdische Männer sich nicht mehr trauen, ihre Kippa zu tragen, dass ein Politiker vor seinem Haus mit einem Kopfschuss getötet wurde, das der Oberbürgermeister von Hockenheim durch einen Angriff so schwer verletzt wurde, dass man nicht weiß, ob er wieder gesund wird, und wenn ich im Internet Kommentare dazu lese, bin ich entsetzt und frage mich, wie verroht ist ein Teil der Menschen schon? Wann läuten endlich die Alarmglocken? Auch die Nazis haben klein angefangen.“ Auf die Frage, wie kommt man mit solchen Erinnerungen klar, antwortete Spagerer, „die Zeit heilt Wunden, aber vergessen kann man das nicht. Die Wahrheit ist brutal, sechs Millionen Juden wurden umgebracht.

So lange ich kann, werde ich erzählen, dass niemand das Recht hat, Menschen wegen der Hautfarbe, der Religion oder sexuellen Neigungen zu ermorden“.

„Wer einen Zeitzeugen gehört hat wird selbst zum Zeitzeugen und hat den Auftrag, das Gehörte weiterzugeben“, schließt Stefan Fulst-Blei die Veranstaltung ab.

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  • 20190724_194531_jpg_elxcnkn_partial: SPD Mannheim

1 Kommentar

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Karla Spagerer (91) … eine der letzten, die noch erzählen können | Netzwerk Lagergemeinschaftenantworten
12. Februar 2021 um 15:46

[…] Karla Spagerer stammt aus einer Mannheimer kommunistischen Familie – und erzählt in der ARD-Mediathek aus ihrem Leben. >>>Der Film ist verfügbar bis zum 9. Februar 2022. Hier >>> mehr über Karla Spagerer […]

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